Samstag, 27. April 2024

Männer und Frauen


Ein Auszug aus "Ohne Wurzeln keine Flügel"

Frühere Lieben

"Seiner  ersten Geliebten trägt man keine Enttäuschung nach.
Besonders, wenn man sie in der Turnstunde kennen gelernt hat
und es eine Kletterstange war." 

Karl Kraus

 

Frühere Lieben sind bedeutungsvoll, so bedeutungsvoll, dass sie zu unserem Gegenwartssystem gehören. Wenn sie keinen Platz bekommen, werden sie, wenn es Kinder gibt, durch diese vertreten. 

Der Klient kommt, weil er Schwierigkeiten mit seiner Freundin hat. Nachdem es anfangs so harmonisch  - besser als in jeder anderen Beziehung zuvor war - streiten sie jetzt immer häufiger aus meist nichtigen Anlässen. Er hat eine Jugendliebe gehabt, die aber, als er zur Bundeswehr kam, in die Brüche ging. Das sei schon lang vorbei, damit habe er abgeschlossen. Dann war er mehrere Jahre mit der nächsten Freundin zusammen. Aber das sei wohl ein Irrtum gewesen und deshalb habe, als er die jetzige Frau kennen gelernt hat, sich sofort getrennt und er sei unmittelbar dort aus und mit der neuen Liebe zusammengezogen.

Es werden er und die drei wichtigen Beziehungen aufgestellt. Sein Stellvertreter schaut sich sofort nach der ersten Liebe um, die anderen interessieren ihn kaum. Beide strahlen sich an und möchten näher kommen.

Jetzt bringe ich die Realität ins Spiel und lasse den Mann zur Frau sagen: "Unsere Beziehung ging in die Brüche, als ich zur Bundeswehr ging." Beide werden traurig und sagen zueinander: "Schade!" Dann lasse ich ihn sagen: "Du hast einen großen Platz in meinem Herzen. Bitte schau freundlich auf mich und die Frauen, die nach dir kommen." Die erste Freundin ist jetzt ernster, aber freundlich. 

Nun wendet er sich der nächsten zu. Hier gibt es eine Menge Spannungen. Die Frau schaut ihn sehr ärgerlich an und sie spricht es aus: "Ich bin sehr verletzt und bin dir noch böse." Der Mann schaut sie an, fängt an es nachzuempfinden und sagt: "Ich habe dich verletzt und es tut mir leid." Jetzt schaut sie versöhnlicher. Dann sagt er die Sätze, die in Aufstellungen oft zum "Abschiedsritual" werden: 

"Ich danke dir für das, was ich von dir bekommen habe und was du von mir bekommen hast, darfst du gern behalten. 

Ich übernehme meinen Teil der Verantwortung, dass unsere Beziehung gescheitert ist und deinen Teil der Verantwortung am Scheitern lasse ich dir. 

Und ich gebe dir einen Platz in meinem Herzen als meiner zweiten Frau."

Die Spannung löst und die Frau tritt zur Seite.

Die neue Freundin hatte die ganze Zeit aufmerksam zugesehen und schaut jetzt den Mann an. Er zeigt auf seine früheren Freundinen, so als ob er sie ihr vorstellt und sagt: "Das sind die Frauen, die vor dir kamen. Sie haben einen Platz in meinem Herzen." Jetzt schaut die neue Frau freundlich zu ihm und er tritt an ihre Seite.

 

Was können wir diese Aufstellung entnehmen? Einmal welch große Kraft die erste Liebe hat. Wenn mir heute ein Teilnehmer erzählt, er habe mit seiner früheren Beziehung "abgeschlossen", sehe ich vor meinem Auge einen großen Schlüssel, der eine Tür abschließt. Hinter dieser Tür sind unterdrückte Gefühle: Liebe, Schmerz, Wut, Schuld. 

Diese Gefühle bilden eine Schicht über dem Herzen. Es wird schwieriger, das nächste Mal das Herz wieder ganz zu öffnen. Mit der nächsten Trennung und dem nächsten "Abschluss" wird die Schicht wieder etwas dicker und es wird immer schwieriger. Und so weiter.

Mit den Sätzen in der Aufstellung öffnen wir die Türen, wir entdecken wieder die frühere Liebe, und jetzt bekommt sie einen geachteten Platz in unserem Leben. Damit geht das eigene Herz wieder auf.

 

Noch etwas anderes Wichtiges geschieht gleichzeitig. Auch das Herz des neuen Partners öffnet sich leichter und weiter. Denn es gibt eine geheime Solidarität unter den Geschlechtern. Wenn der Klient in obiger Aufstellung wenig Achtung für die zweite Freundin hat, die er so abrupt verlassen hat, muss die neue Freundin - mit Recht - misstrauisch sein. Denn auch sie ist nur eine Frau. Vielleicht geht es ihr einmal genauso. 

Oder wenn Markus über seine Ex-Frau Anna schimpft - wird er vielleicht irgendwann genauso über Kerstin schimpfen? Selbst wenn Kerstin mit einstimmt - kann sie wirklich so sicher sein? Aber wenn der ehemalige Partner geachtet wird, dann kann der jetzige entspannen und sich sicher fühlen.

Wie kommt es zu der Bindung? 

Hellinger: "Durch den sexuellen Vollzug, und zwar durch den vollen sexuellen Vollzug, das heißt den Vollzug mit allem Risiko, entsteht eine Bindung zwischen dem Mann und der Frau. Diese Bindung ist unauflöslich. Manche sagen jetzt vielleicht, das ist jetzt katholische Lehre. Das ist es nicht. Die Bindung entsteht nämlich auch außerhalb der Ehe. Also, nicht die Ehe ist unauflöslich, sondern die Bindung zwischen einem Paar, dass sich auf den sexuellen Vollzug eingelassen hat, ist unauflöslich. Man sieht das an der Wirkung. Danach kommt das Paar nicht mehr auseinander. Wenn sie sich trennen, dann können sie das nur mit sehr viel Schmerz und mit einem Gefühl von Schuld. Unschuldig kommt niemand aus so einer Bindung heraus. Deswegen ist die erste Bindung die tiefste Bindung.

Bindungen und Liebe sind nicht dasselbe. Es kann sich später jemand mit einem anderen Partner einlassen. in dieser Beziehung kann die Liebe vielleicht größer sein, doch die Bindung ist geringer. Wenn sie sich trennen, dann mit weniger Schmerz und mit einem geringeren Gefühl von Schuld. Wenn es eine dritte und eine vierte Beziehung gibt, wird die Bindung immer geringer. Sie können leichter auseinandergehen. Nach einer gewissen Zeit ist die Fähigkeit zur Bindung überhaupt verspielt. Das hört dann auf.

Wenn sich jemand leichtfertig trennt   in dieser Aufstellung war der Eindruck, dass das eine leichtfertige Trennung von der ersten Frau war, eine rücksichtslose Trennung  , dann bestraft sich dafür später oft ein Kind. Das geht so weit, dass sich manchmal ein Kind umbringt   zur Sühne für die leichtfertige Trennung. Man kann nicht damit spielen.

Die Bindung entsteht auch bei Inzest, und auch bei einer Vergewaltigung. Deswegen bleibt ein Kind, das Inzest erfahren hat, an den Täter gebunden. Auch nach einer Vergewaltigung bleibt die Frau an den Täter gebunden. Beide, das Kind und die Frau, kommen nicht mehr davon los   außer durch Liebe."

 

Zu mir hat mal einer gesagt, er suche eine feste, dauernde Paarbeziehung. Ich habe ihn gefragt: "Wie viele ernsthafte Beziehungen hast du schon gehabt?" Er sagte: "Sieben."   "Dann kannst du das vergessen, dass du eine dauerhafte Partnerschaft eingehen kannst." Er fragte: "Gibt es keinen Ausweg?" Ich antwortete: "Es gibt einen. Wenn du diese sieben Frauen achtest und mit Liebe nimmst, was sie dir geschenkt haben, und wenn du es in Ehren hältst und alles, was sie dir geschenkt haben, in dir sammelst und es hineinbringst in die neue Partnerschaft, dann hat sie eine Chance."  

 

Meiner Erfahrung nach ist es vor allem die erste Liebe, die oft abgeschnitten und in ihrer Bedeutung vergessen wird. Dass eine Bindung unauflöslich ist, heißt, dass dieser Mensch geachtet gehört und zu den wichtigen Personen unseres Lebens zählt. Aber natürlich gehen viele weiter nach ihrer ersten Liebe und es entstehen neue Bindungen. Aber nicht jede kurze Affäre zählt. Die anderen wichtigen Frauen und Männer unseres Lebens sind Menschen, mit denen eine längere Beziehung bestand, wenn man z. B. zusammen gelebt hat, verlobt und verheiratet war und immer bei Schwangerschaft. 

De Schmerz, den man verspürt, hängt meiner Erfahrung nach nicht davon ab, die wievielte Person in meinem Leben jemand ist, sondern wie weit sich jemand der anderen Person öffnet und wie viel Sehnsucht und Hoffnung in dieser Beziehung wach wird. Wer natürlich allmählich von Beziehung zu Beziehung resigniert, wird auch immer weniger Bindung und Trennungsschmerz spüren.

Und eine zusätzliche Beobachtung lässt sich in Dreiecksverhältnissen machen. Zur und zum Geliebten entsteht eine solche Bindung nicht. Es sieht so aus, als ob es eine Art "Hauptbindung" zum gegenwärtigen Partner gibt, die gleichzeitig zusätzliche Bindung ausschließt.

 

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