Donnerstag, 25. April 2024

Hommage an Martenstein: Wie ich scheiterte, meine erste Kolumne zu schreiben


Es kam über mich. Einfach so - ein unwiderstehlicher Drang. Ich wollte meine erste Kolumne schreiben.
Natürlich überfiel es mich nicht ganz „out of the blue“. Ich hatte wieder einmal Martensteins Kolumnen in der ZEIT gelesen. Sie kennen das ja vielleicht auch: Da gibt es etwas, was ein anderer hervorragend kann. Sie bewundern ihn. Und natürlich werden Sie ein bisschen neidisch, das ist einfach menschlich. Dann packt Sie der Ehrgeiz und Sie wollen es auch können. Wahrscheinlich sind schon viele große Entwicklungen der Menschheit so zustande gekommen.

Ich bin ein großer Fan von Martenstein. Manchmal im Zug haben sich schon Leute gewundert, wenn sie mich plötzlich haben lachen sehen. Plötzliches Lachen ist bei mir eher selten, denn ich bin kein grundlos fröhlicher Mensch. Aber wenn ich die ZEIT aufschlage, gleich nach dem Magazin suche und dann ihn lese – dann überkommt es mich häufig. Das Lachen. Meist bei jeder Kolumne mindestens einmal. Intelligent! Witzig! Mutig! Mit diesen Worten beschreibe ich, was ich lese, und werde dann einfach vergnügt.

Natürlich wäre ich selber gern intelligenter, witziger oder mutiger. Da bin ich wahrscheinlich keine Ausnahme. Die meisten Menschen sind ja nicht damit zufrieden so wie sie sind. Eher unersättlich in dem Wunsch, ein besserer Mensch zu werden. Intelligenter, witziger, mutiger. Wenn ich es mir recht überlege, vielleicht geht es selbst Martenstein noch so. Aber von mir aus muss das nicht sein. Du bist schon gut wie du bist, würde ich ihm sagen. Du musst nicht noch cleverer oder mutiger werden. Allerdings: Wenn er so ist wie ich, dann hört er nicht darauf, sondern ist doch nicht ganz zufrieden mit sich selbst. Schade. Aber so sind wir nun mal. Vielleicht wäre die Menschheit ohne diese Eigenschaft auch nicht auf den Mond gekommen. Das wäre denn doch bedauerlich gewesen.

Neulich war ich bei einem Bekannten, die neue ZEIT lag auf dem Tisch. „Darf ich mal reinschauen?“, fragte ich und suchte gleich das Magazin. „Ich lese so gern den Martenstein.“ „Martenstein?“ schaute er mich fragend an. Mein Gott, dachte ich, den habe ich intellektuell vielleicht etwas überschätzt.

Ich bin kein Abonnent der ZEIT, dafür ist sie mir zu dick. Deshalb habe ich den besonderen Genuss, wenn ein neues Buch mit SEINEN Kolumnen erscheint. Erst neulich ist wieder eines herausgekommen. Ich finde dort Kolumnen, die ich noch nicht kenne. Süchtig könnte ich werden. Jüngst habe ich mir sogar einen Roman von IHM gekauft, irgendetwas von einem Lehrer und Liebe. Ich habe nur ein bisschen geblättert und ihn dann wieder weggelegt. Enttäuscht. Ein ganz normaler Roman. Das können andere auch.

Nun gut - Geschmäcker sind verschieden. Wahrscheinlich findet er durch den Roman völlig neue Fans. „Hör auf mit den Kolumnen! Schreib nur noch Romane!“ Solche Botschaften schicken sie ihm. Hoffentlich hört er nicht auf sie.

Ich fahre nun einmal auf Kolumnen ab. Also vor allem auf seine. Nur wenn ich ab und zu beim Zahnarzt bin und niemand anderes ist im Wartezimmer, dann hole ich mir auch die neue „Brigitte“ und schaue mir die letzte Seite an mit der Kolumne von der witzigen Frau mit dem komplizierten Namen. Finde ich amüsant, auch wenn es mehr für Frauen geschrieben ist. Aber irgendwie doch nicht vergleichbar, nicht sein Niveau.
Ich will selbst eine Kolumne schreiben. Ganz unerwartet packte mich dieser Gedanke. Zwanghaft. Lässt mich nicht mehr los: Eine Idee, die mich überwältigt. Ich kann nicht widerstehen. Triebtäter kennen wahrscheinlich dieses Gefühl. Bin ich jetzt ein Opfer, frage ich mich, vielleicht ein Opfer von etwas Größerem, das Besitz von mir ergreift. Oder werde ich zum Täter? Oder vielleicht beides zugleich? Setze ich meine Willenskraft nicht entschlossen genug dagegen ein? Bin ich einfach nur ein Schwächling? Auf jeden Fall sollen diejenigen, die noch nie vom Verlangen, eine Kolumne zu schreiben, überwältigt wurden, nicht über meine Schwäche urteilen! Seid dankbar, möchte ich ihnen zurufen, dass Ihr davon verschont seid.

Da fällt mir ein, wäre ich ein solch großer Fan seines Romans, dann hätte mich vielleicht die Begierde gepackt, einen Roman zu schreiben. 500 Seiten! Stellen Sie sich vor, da liest einer Goethe, Stephen King oder Charlotte Roche und der Zwang überkommt ihn, ihnen gleich zu tun und etwas Ähnliches zu schaffen. Das ganze Leben gerät aus der Bahn. Die berufliche Karriere wird ruiniert, die Beziehung geht kaputt und Hartz 4 muss den Lebensunterhalt sichern, weil die nächsten Jahre im Dienste dieses Romans stehen. Ich bin nicht wirklich religiös, aber da bin ich Gott doch dankbar, dass es nur seine Kolumnen sind, die mich so begeistern.

Wie ER es wohl macht, wenn er eine Kolumne schreiben will? Ich schaue in seinem neuesten Buch nach, da stand etwas davon. Es läuft ihm offensichtlich auch nicht immer einfach aus der Feder oder, moderner ausgedrückt, die Tasten seines Computers bewegen sich nicht von allein. Ich kenne noch automatische Klaviere, bei denen man sehen konnte, dass die Tasten sich wie magisch von allein bewegen. So ähnlich. Aber diese Klaviere spielten immer nur die gleichen Stücke, das ist bei ihm anders.

Wie anfangen? Ich brauche irgendein Thema. Zum Beispiel den vorletzten, den letzten und den neuen Bundespräsidenten. Aber die große Politik behandelt er ja selber, da will ich mich nicht einmischen. Oder etwas über Frauen? Das ist ein unerschöpfliches Thema. Eine neue Wahrheit vielleicht, die wir Männer aber gut kennen?

Aber dann liest womöglich meine Frau die Kolumne. Ich mag Frauen sehr, aber wenn ich etwas Allgemeines über Frauen sage, gefällt ihr das meistens nicht. Früher, als ich unbekümmerter war, fand sie es sogar „frauenfeindlich“. Das ist ein schlimmes Wort, besonders wenn es von der eigenen Frau kommt. Da ziehe ich als Mann natürlich das ein, was Männer nun mal speziell einziehen. Obwohl, wenn ich es überprüfe,  - als Information für Leserinnen - funktioniert das mit dem Einziehen nicht. Es ist bildhaft gemeint. Also, so mutig bin ich nicht, etwas über Frauen zu sagen. Deswegen lese ich ja seine Kolumnen so gern. Verstecke mich sozusagen hinter seinem Rücken und zeige nur durch mein Lachen männliche Solidarität. Da ist schon etwas feige, aber ich bin nur ein normaler Mann, der sich ungern mit Frauen anlegt.

Ob er mich wohl abschreiben ließe? So wie früher in der Schule, wenn die Klassenarbeit anstand, mir nichts einfiel und der Nachbar ganz eifrig am Schreiben war. Einfach nur unauffällig nach der Seite schielen, was das geschrieben wird. Aber wenn er den Arm hochheben würde, damit ich ja nichts mitbekomme? Könnte ich ja auch verstehen. Wenn jeder Kolumnen schreiben würde, wäre er vielleicht irgendwann arbeitslos. Nicht weil die anderen besser schreiben würden, da bin ich mir ganz sicher, schließlich kopieren und imitieren sie ihn ja nur. Aber vielleicht weil wegen der vielen Konkurrenz die Preise dann fallen. Es ist nun einmal Marktwirtschaft. Das Angebot bestimmt den Preis. Oft setzt sich die mindere Qualität durch. Bei uns Deutschen sowieso, man denke nur an unsere Lebensmittel. Ich sage nur: Geiz ist geil. Wir können eben nicht immer nur von der Marktwirtschaft und der Globalisierung profitieren. Es gibt auch Nachteile. Irgendjemand muss dann die Zeche zahlen. Das wäre dann ER, das will ich nicht. Obwohl meine Sorge für ihn wahrscheinlich grundlos ist. Denn was machen Tausende von Bloggern im Internet? Schreiben ihre eigenen Kolumnen und verdienen nicht einmal etwas dabei. Heute geht die Schere ja immer weiter auseinander zwischen den Billigprodukten und den Luxusgütern. Eine billige Quarzuhr wird einem ja nachgeschmissen, aber die kostspielige Rolex findet trotzdem ihre Käufer. Er wird nicht untergehen, da bin ich mir sicher.

Ob er es mir beibringen könnte? Ich mache einen Besuch bei Picasso und erzähle ihm, dass ich wie er malen möchte. Er lacht, nimmt ein paar Farben, macht ein paar Pinselstriche und schon ist ein Gemälde fertig, das Millionen wert ist. Vielleicht ist es sogar mein Portrait, auch wenn ich mich nicht erkenne. Dann gibt er mir seine Farben und sagt, ich solle es genauso machen. Ich mache es und es sieht ähnlich aus. Aber niemand will dafür etwas bezahlen. Weil ich eben kein Künstler bin und es keine Kunst ist. An den Wettbewerben im Kindergarten solle ich mich beteiligen, meint dann vielleicht ein Kritiker. Das wäre hart.
So ähnlich ist es mit mir und Martenstein. Er ist ein Profi, ein Meister der Kolumnen, sozusagen der Picasso in diesem Feld. Er macht jahraus, jahrein nichts anderes. Das ist neben dem Talent eine weitere Voraussetzung wahrer Meisterschaft. Obwohl er zwischendurch dann doch überdrüssig wurde und einen Roman schrieb. Menschen brauchen schließlich Abwechslung, das war Picasso mit seinen vielen Perioden auch nicht anders.

Hat er vielleicht sogar schon mehrere Romane geschrieben? Ich sollte da mal schnell bei amazon nachschauen. Nicht dass ich hier Fehler mache! Aber wenigstens habe ich keine Leser, die ärgerliche e-mails schicken, mich korrigieren und manchmal wegen der Fehler sogar beschimpfen. Oder auch nur, weil ich meine Meinung ehrlich schreibe. Das ist die düstere Seite des Profilebens. Man exponiert sich mit Kolumnen. Früher wurden Leute, die anders dachten als die Mehrheit, als Ketzer umgebracht. Insofern ist eine anonyme Beschimpfung im Internet schon ein großer Fortschritt. Trotzdem muss man sich ein dickes Fell zulegen. Ich hoffe, dass er das hat.

Irgendwann ließ dann dieser Drang nach einer Kolumne bei mir nach. So wie er gekommen war, verschwand er wieder. Es war so erleichternd. Noch einmal Glück gehabt! Ich fühlte mich wieder wie der Mensch, der ich eigentlich bin. „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, sagte ich zu mir selbst und beschloss, mich in Zukunft mehr darauf zu konzentrieren, ein besserer Mensch zu werden. Ohne Kolumnen.

Bertold Ulsamer

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